Interview Lothar Segeler - Tonmeister
Datum: Wednesday, 12. September 2001, 11:02 Thema: MIA
AIM: Wie
bist Du zu Deinem Beruf gekommen? Lothar Segeler: Ich bin gelernter
Musiker, habe meine Ausbildung in den USA gemacht. Die
war sehr praxisorientiert: Beispielsweise mußte ich
meine Abschlußarbeit in Jazzkomposition und -arrangement
im Studio produzieren. Ich hatte schon früh Interesse an
der Studioarbeit, und so habe ich verschiedene Kurse
belegt, zum Beispiel Aufnahmen mischen - kleinere
Projekte, um ein bißchen Einblick zu bekommen. Als ich
mich entschlossen hatte, als Musiker in New York zu
bleiben und zu arbeiten, habe ich nach Leuten gesucht,
mit denen man arbeiten kann. Ich habe mir gedacht:
Musiker findest du im Studio, und um da den Einstieg zu
kriegen, habe ich mich als Praktikant beworben und ganz
schnell eher eine Karriere als Tonassistent oder
Toningenieur - „recording engineer" heißt das
in Amerika - gemacht, als als Musiker. Das hat sich
nahtlos so ergeben, und dann saß ich auf einmal auf der
anderen Seite der Scheibe, hinterm Mischpult. Sechs Jahre
lang habe ich damit meine Sporen verdient. Dann bin ich
nach Deutschland zurückgekommen und habe mich
entschieden in den Film- und Fernsehbereich zu gehen, da
in der Musik die Konkurrenz noch viel größer ist und
durch die Computerisierung die Konkurrenz so groß wurde,
daß kaum noch Geld damit zu verdienen ist.
? Was macht ein Tonmeister?
! Vielleicht muß man vorausschicken, daß ich
meine eigene Firma gegründet habe, in der ich als
Tonmeister und -cutter arbeite. Deshalb bezieht sich
meine Arbeit heute hauptsächlich auf die
"Sahnestückchen", will sagen: ich mische
Kinofilme oder mache auch mal eine Aufnahme von einem
berühmten Star, der hier 'reinkommt... Ursprünglich
beinhaltet die Arbeit aber in erster Linie
Überspielungen - Senkel, die vom Dreh kommen auf Perfo
zu überspielen. Senkel sind die Schmalbänder, die
Viertel-Zoll-Bänder, die beim Dreh mit einem Pilotton
auf einer Nagra (Ton-Aufnahmegerät, Anm. d.
Red.) aufgenommen werden. Die werden synchron auf perforiertes
Magnetband überspielt, damit sie synchron am
Schneidetisch zum Bild angelegt werden können, denn Bild
und Ton sind beim Dreh auf separaten Trägern.
? Dann arbeitet Deine Firma in erster Linie
für Filmproduktionen...
! Nicht ganz. Wo wird Film gezeigt? Im Kino
und im Fernsehen. Beides kann auf Video oder auf
Zelluloid, also auf Film gedreht werden. Beides ist
möglich, aber das sind unterschiedliche
Verfahrensabläufe, die in der Postproduktion - und das
ist unser Bereich - vom Ton verlangt werden.
? Was ist mit den Tonleuten, die in der
Produktion arbeiten?
! Das ist ein ganz anderer Bereich. Da
arbeitet ein Tonmann am Set mit seinem
Assistenten, dem sogenannten Angler und macht
die Aufnahmen. Dazu gehören ganz bestimmte
Qualifikationen und Erfahrungen. Die können sich aber
auch Tonmeister nennen. Das ist lediglich eine Frage der
Begriffsbestimmung. Tonmeister kannst auch Du Dich jetzt
nennen: Du hast hier für das Interview ein Mikro
aufgebaut, das ist eingestöpselt und das nimmt
hoffentlich auch auf. Im Moment bist du Tonmeisterin. Das
ist kein gesetzlich geschützter Begriff. Es gibt den
graduierten Tonmeister, diese Bezeichnung ist geschützt.
Das sind die Leute, die in Detmold oder in Berlin an der
Hochschule den Beruf erlernt haben, der in erster Linie
mit Musik zu tun hat. Im Prinzip müssen solche Leute
Dirigenten sein, die zusätzlich Ahnung vom Ton haben.
Dann gibt es noch den Toningenieur, der wird zum Beispiel
in Düsseldorf ausgebildet. In Deutschland darf man sich
ja nur Ingenieur nennen, wenn man ein Ingenieurstudium
absolviert hat. Das ist auch wieder sehr musikalisch
orientiert, aber eher in technischer Hinsicht. Ansonsten
gibt es speziell für Tonleute keine Ausbildung. Wir
bilden bei uns gerade einen Mediengestalter Bild und Ton aus, der wird dann einer unserer
Tonleute.
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? Wie sieht der Arbeitsalltag aus? !
Wie gesagt, wir machen Überspielungen von Senkel auf Perfo oder von Dat (-recorder
Anm. d. Red.) auf Perfo. Wir vermieten auch
Schneidetische . für Bild- und Tonbearbeitung, arbeiten
aber selber nicht mehr am Tisch, sondern mit Computern.
Das sind rein technische Dienstleistungen. Wenn es vom
Kunden gewünscht wird, übernehmen wir auch die
Vertonung. Das heißt: wenn der Film fertig geschnitten
ist - ein Feinschnitt und zwei O-Ton-Originaltonspuren -
existieren, bearbeiten wir diese weiter. Die
Originaltonspuren werden gesäubert, Überblendungen
gemacht, Teile herausgeschnitten. Dann geht es in die
Sprachbearbeitung: Wir erstellen Sprachsynchronisation
für Originaltonaufnahmen. Das wird immer dann wichtig,
wenn zum Beispiel ein Flugzeug durch die Aufnahme
geflogen ist, das Mikrofon schlecht geangelt war, ein
Aggregat gebrummt hat oder der Schauspieler sich
versprochen hat - wie auch immer, der Take ist dadurch
unbrauchbar. Das machen wir übrigens auch für komplette
Fremdsynchronisationen, für ausländische Produktionen.
Außerdem gehören Überspielungen aus dem Archiv zu
unseren Aufgaben - sei es für unsere eigene Bearbeitung,
bei der wir Geräusche wie z.B. ein Telefonklingeln,
Martinshörner, Eisenbahn oder ähnliche Aufnahmen
brauchen. Die werden normalerweise nicht jedesmal separat
aufgenommen, dafür haben wir ein Archiv, auf das wir
zurückgreifen können. Diese Geräusche werden dann
entweder in unsere Toncomputer, mit denen wir hier
arbeiten, oder auf Perfo für andere Produktionen
überspielt, damit die Tonleute vor Ort am Schneidetisch
damit arbeiten können. Und dann kümmern wir uns auch
noch um die gesamte weitere Geräuschbearbeitung,
angefangen mit Geräuschen aus dem Archiv und Tönen vom
Set, die ohne Bild gedreht wurden. Daraus wird entweder
eine Klangcollage gebaut oder bestimmte Geräusche in
Zusammenarbeit mit dem Geräuschemacher verstärkt. Ein
weiterer Bereich ist der Musikschnitt. Wir machen hier
keine Musikaufnahmen, sondern bekommen meistens die
fertigen Bänder geliefert, die wir bearbeiten. Das sind
alles noch Toncutterarbeiten. Und zuguterletzt
übernehmen wir dann auch noch Misch- und
Rückspielarbeiten.
? Was macht der Geräuschemacher?
! In erster Linie sogenannte
Bewegungsgeräusche. Wenn beispielsweise Bewegung im
Dialog fehlt: Rascheln, das Knistern einer Lederjacke,
Hinsetzen, Aufstehen, Schrittgeräusche... Beim Dreh
entfernt sich der Schauspieler aus der Kamera, er soll
aber eigentlich jetzt den Flur entlang oder die Treppe
runtergehen, das sieht der Zuschauer nicht, er soll es
aber hören. Diese Geräusche werden alle nachträglich
gemacht. Häufig müssen Töne auch verstärkt werden.
Ein guter Tonmann am Set versucht sich hauptsächlich auf
die Dialoge zu konzentrieren, und nicht auf das, was
drumherum passiert. Jetzt stoßen aber zum Beispiel zwei
Leute mit Gläsern an. Das kommt vielleicht im
Originalton nicht so deutlich. Die Aufgabe des
Geräuschemachers ist es, ein wunderschönes Klirren
hinzukriegen.
? Zurück zum Tonmeister. Die
erste Aufgabe des Tonmeisters ist die Sondierung und
Beurteilung des Materials...
! Richtig. Zunächst wird eine Vertonungsliste
erstellt, „effectspotting" wie das heute so
schön heißt. Wenn Produktion und Regie Vertrauen zu uns
haben, machen wir das alleine, ansonsten besprechen wir
uns mit der Regie und der Cutterin. Das ist der einsame
Teil des Jobs: man sitzt alleine vor dem Computer,
bearbeitet Töne - je nach Produktionsaufwand einige Tage
oder Wochen.
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? Wie groß ist der
Gestaltungsfreiraum eines Tonmeisters? ! Das
ist ganz unterschiedlich. Der Grad der kreativen Freiheit
hängt nicht davon ab, ob die Produktion den Tonleuten
nicht vertraut - wir haben mittlerweile einen ganz guten
Ruf und gute Arbeit geleistet - das geht. Die Punkt ist
viel eher, was die Leute unter der Wahrnehmung des Tons
verstehen: Was passiert mit dem Ton, was kann ich
überhaupt mit dem Ton machen? Ich habe meistens damit zu
kämpfen, daß die Leute bei der Vertonung - egal, wie
wohlgesonnen sie mir sind - sich sehr auf die Realität
beziehen, auf das, was sie als Realität, Wirklichkeit
empfinden. Die Tonarbeit kann aber wesentlich mehr
leisten. Wie alles im Film ist auch der Ton eine
Illusion, und ich kann, je nachdem wie weit ich mich von
dieser Wirklichkeit, von dieser Realität entferne,
Illusionen schaffen, die dem Film dazu dienen, das zu
erreichen, was der Regisseur oder die Regisseurin
ursprünglich wollte. Ein Beispiel: Es wird eine
Straßenszenen gedreht. Mit der normalen
"Straßenatmo" höre ich nur einen ganz
begrenzten Teil der Geräusche. Wenn im Hintergrund
jemand vorbeiläuft, ist das schon nicht mehr
wahrnehmbar, aber genau das ist vielleicht ganz wichtig
für den Film. Unsere Aufgabe ist es dann Sachen
hinzufügen, die normalerweise nicht da sind oder Sachen
wegzulassen, die man eigentlich erwartet.
? Der Ton als künstlerisches Element einer
Produktion?
! Es gibt Regisseure, die den Ton als
künstlerisches Element einsetzen, aber es gibt auch
viele, die ihn vollkommen ignorieren, die eigentlich nur
denken, den Ton brauchen wir auch, wir wollen
schließlich auch etwas hören. Aber zum Glück gibt es
auch Gegenbeispiele, daß sich die entsprechenden Leute
bereits in der Drehbuchphase mit uns zusammensetzen. Aber
allgemein würde ich sagen, ist die Wertschätzung
deutlich geringer als bei Regie, Kamera und Cuttern. Der Verband
Deutscher Tonmeister hat beispielsweise versucht,
eine Regelung für Wiederveröffentlichungen zu
etablieren, daß auch die Tonmeister an Tantiemen
beteiligt werden, daß sie überhaupt etwas bekommen, wie
das beispielsweise bei Cuttern und Kameraleuten der Fall
ist. Da hat es vor einigen Jahren ein Urteil auf
höchster Instanz gegeben, dem Antrag wurde nicht
stattgegeben - leider.
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